EIN HEBEL MACHT GESCHICHTE
Der Weg zur Winchester
Die Geschichte der Winchester Büchsen beginnt zunächst ganz ohne Beteiligung ihres Namensgebers Oliver Winchester: Walter Hunt, ein amerikanischer Erfinder der unter anderem die Sicherheitsnadel und wesentliche Verbesserungen der Nähmaschine entwickelt hat, denkt 1848 über die Konstruktion mehrschüssiger Gewehre nach. Er glaubt, den komplizierten Ladevorgang der damals üblichen Vorderlader überflüssig zu machen, indem er die Treibladung bereits in das Geschoss integriert. Im Jahr 1848 erwirbt er das Patent für ein konisches Raketengeschoss, sowie die dazu passende Repetiermechanik. Er tauft die Waffe "Volition Repeating Rifle". Hunt fehlen aber die Mittel um mit mehr als höchstens zwei Gewehren Versuche anzustellen. Das Projekt endet in einem finanziellen Desaster. Dennoch markiert es den Beginn einer Epoche.
Walter Hunt
Nachdem Walter Hunt nach nicht einmal einem Jahr aufgeben muss, kauft ein Mr. Lewis Jennings die Rechte an Hunt’s Waffe. Jennings hatte bereits eigene einschüssige Hinterlader-Gewehre produziert und hoffte, diese mit Hunts Konzept zur ultimativen Handwaffe entwickeln zu können.
einschüssiger Jennings-Hinterlader
Ab 1849 lässt Lewis Jennings bei Robbins & Lawrence in Windsor/Vermont Gewehre herstellen. Vorarbeiter bei Robbins & Lawrence ist der zu diesem Zeitpunkt 29 jährige Benjamin Tyler Henry, der die Entwicklung der Unterhebel-Repetier-Mechanik somit vom ersten Augenblick an mitverfolgt.
Zeichnung aus der Zeitungswerbung 1851
In diesem frühen Entwicklungsstadium ähnelt das Gewehr äußerlich einem modifizierten Perkussions-Vorderlader. Die Raketenpatronen werden bereits in dem bekannten Röhrenmagazin aufgenommen. Es handelt sich um konische Geschosse, die eine schwache Treibladung enthalten. Allerdings besitzt die Patrone keinen eignen Zündmechanismus. Abgefeuert wird die Waffe mit Hilfe herkömmlicher Perkussions-Zündkäppchen, die in einem separaten Magazin unterhalb des mit einem speziellen Zündstift versehenen Hahns untergebracht. Betätigt wird das System mit Hilfe des Ring-Abzugs, der gleichzeitig als Repetier-Hebel dient.
Volition Repeating Rifle von Lewis Jennings
Trotz ständiger Verbesserungen bleibt der Mechanismus kompliziert und unzuverlässig. Die intensive Zeitungswerbung bleibt wirkungslos, das Gewehr praktisch unverkäuflich. 1852 ist Lewis Jennings am Ende, Robbins & Lawrense stellt die Produktion der "Volition Repeating Rifle" unter großen Verlusten aller beteiligten Finanziers ein.
Der ursprüngliche Systemkasten im Detail
Unter den zeitgenössischen Büchsenmachern hat das Volition System aber durchaus Beachtung gefunden. Auch Horace Smith und der 17 Jahre jüngere Daniel Baird Wesson sind von der Vision besessen, mehrschüssige handliche Schusswaffen zu entwickeln. Sie kaufen alle Volition-Patente auf und produzieren im eigenen Werk in Norwich/Conneticut eine Pistole mit Röhrenmagazin und Unterhebel-Mechanik, die sie "Volcanic" taufen. Von Robbins & Lawrence übernehmen sie B. Tyler Henry sie als Werkmeister. In den folgenden Monaten entsteht der unverwechselbare Systemkasten sowie die Unterhebel-Mechanik der späteren Winchester-Waffen. Der Boden der Raketengeschosse wird mit einem Zündhütchen verschlossen, das durch einen Schlagbolzen gezündet wird. Das charakteristische Aussehen dieses Waffentyps ist nun bereits erkennbar. Der Systemkasten dieser allerersten wie auch der späteren "Yellowboys" besteht übrigens aus dem auf Bronze basierenden "Gun Metal", nicht - wie heute fälschlicherweise oft vermutet - aus Messing.
VOLCANIC RepeatingRifle
Smith und Wesson verlieren jedoch schnell das Interesse an ihrem Volcanic-System. Sie sind zu sehr auf die Herstellung von Faustfeuerwaffen fixiert. Die patentierte Hinterlader-Revolvertrommel des ehemaligen Colt-Ingenieurs Rollin White erscheint ihnenfür ihre Zwecke besser geeignet als ihre gegenwärtige Arbeit. Sie stoßen die Volcanic-Patente ab, Käufer ist ein Konsortium, dem der Hemdenfabrikant Oliver Winchester angehört. Die Produktionsstätte wird erneut übersiedelt, diesmal nach New Haven/Conneticut. Der neue Name lautet „Volcanic Repeating Arms Co.". Horace Smith verlässt die Firma, kurz darauf auch Daniel Wesson. Der unvermeidliche Bankrott von Volcanic folgt kurze Zeit später.
B.Tyler Henry und Oliver Winchester
Und doch sollte die Idee des Unterhebel-Repetiergewehrs nicht sterben. Oliver Winchester kauft nun alle Anteile der Firma auf und organisiert sie von Grund auf neu. Die hoffnungslose Produktion von Faustfeuerwaffen wird aufgegeben, unter dem Namen „New Haven Arms Co." konzentriert Winchester die Arbeit auf Langwaffen. Chefingenieur wird Benjamin Tyler Henry, der mittlerweile über umfangreiche Erfahrungen mit der Unterhebel-Mechanik besitzt, jeden Versuch und Fehlversuch ins Detail kennt.
Henry Repeating Rifle
Als B. Tyler Henry im Jahr 1860 das Patent für eine Randfeuerpatrone erwirbt und die Volcanic-Mechanik für diese Patrone modifiziert, gelingt nach 12 Entwicklungsjahren der erste entscheidende Durchbruch. Mit der Henry-Rifle können 15 Schuss abgefeuert werden, ohne das Gewehr von der Schulter zu nehmen. Beim Betätigen des Unterhebels wird die leere Patronenhülse ausgeworfen, eine neue Patrone geladen, und die Waffe gespannt. Für 15 gezielte Schüsse benötigt ein geübter Schütze knapp 11 Sekunden.
Beim Militär findet die Henry Rifle trotz des ausgebrochenen Bürgerkriegs nur wenig Beachtung. Durchaus berechtigt, die Zeit ist noch nicht reif für eine derartige Waffe. Offiziere sind noch nicht einmal für den richtigen Umgang mit Minie Geschossen in den neuen gezogenen Musketen trainiert, wie die zahllosen Tragödien des amerikanischen Bürgerkriegs belegen. Außerdem kann die "New Haven Arms Co." nicht liefern, die Maschinerie zur Serienproduktion muß erst eingerichtet werden. Die ersten Henry-Rifles vom Fließband stehen den Kunden erst im Spätsommer 1862 zur Verfügung.
Nach der weitgehenden Ablehnung seitens der Armee - nur wenige Kavallerie-Einheiten erhalten Henry Rifles - konzentriert sich Oliver Winchester auf Privatkunden. Viele Soldaten sind von der Henry Rifle dermaßen überzeugt, dass sie ihren spärlichen Sold für eines dieser Gewehre ausgeben. Immerhin wird diese Investition von der Armeeführung unterstützt: Das Militär kauft in großen Mengen Munition für die Henry Rifle ein, Soldaten können sie auch für private Waffen in den Armee-Depots beziehen.
Neben der relativ schwachen Randfeuer-Munition fallen an der Henry Rifle zwei wesentliche Nachteile auf: Zunächst das über die volle Länge geschlitze Röhrenmagazin- Es ist zwar notwendig, um den Knopf zum Öffnen dieses Magazins zu betätigen, zwangsläufig ist es aber äußerst anfällig für Verschmutzung. Gleichzeitig verhinderte es die Montage eines hölzernen Vorderschafts, welcher den Schützen vor dem bei Schnellfeuer rasch heiß werdenden Lauf schützen könnte. Als Zweites stört der komplizierte Lademechanismus: Der beschriebene Knopf muß über die ganze Länge des Magazins geschoben werden, bis die Spiralfeder des Magazins vollständig komprimiert ist. Dadurch wird der Magazinverschluss entriegelt und kann zur Seite geklappt werden. Nun werden die Patronen von vorn in das Röhrenmagazin geladen, nach dem Verschließen muß die Magazinfeder händisch auf die geladenen Patronen gesetzt werden.
Am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs hat Benjamin Tyler Henry nach 17 Jahren Entwicklungsarbeit genug vom Unterhebel-Repetiersystem. Er verlässt die New Haven Arms Company um seine eigene Firma zu gründen. Sein Nachfolger als Werksleiter und Chefkonstrukteur, Nelson King, erhält den Auftrag, die Mängel der Henry-Rifle zu beseitigen. Kings Lösung ist genial und verhilft den Unterhebel-Repetieren zum endgültigen Durchbruch: Eine rechts am Systemkasten angebrachte Ladeklappe erlaubt das einfache Nachladen des Gewehrs in nahezu jeder Situation und Körperhaltung. Der Schlitz im Röhrenmagazin wird so überflüssig, ein Vorderschaft kann montiert werden.
Das zunächst als "Verbesserte Henry Rifle" angebotene Gewehr ist von Beginn an erfolgreich. 1867 wird die Firma in "Winchester Repeating Arms Company" umbenannt, das Gewehr als "Modell 1866" verkauft. Nach etwa 13.000 Henry-Rifles sollten bis zur Einstellung der Produktion im Jahr 1898 rund 150.000 "YellowBoys" hergestellt, die "Henry Randfeuerpatrone" für diese Waffe ist bis in die 1930er Jahre erhältlich. Nahmhafte Graveure wie Louis Daniel Nimschke schmücken die hochwertigen Sonderanfertigungen des Modell 1866. Unter Sammlern sind Yellowboys hoch begehrt. Exemplare für € 6.000 sind eine Seltenheit, gut erhaltene Exemplare erzielen Preise von € 120.000,- und mehr.